Zu Arles, wo sich die Rhone weitet

Gaëlle Cogan
Gaëlle Cogan ist eine franko-amerikanische Übersetzerin und lebt in der Westschweiz. Cogan hat an der Pariser École Normale Supérieure Literatur und Sprachen studiert (Schwerpunkt Anglistik) und hält einen Master der Universität Sorbonne-Paris IV (Lehrgang «Internationale Sprachen, Literatur und Landeskunde»). Gemeinsam mit A’Dora Phillips hat sie «Letter to the Amazon» von Marina Zwetajewa übersetzt, erschienen im Verlag Ugly Duckling Presse (2016). Für ihre Übersetzung des Gedichtbands «A silence opens» von Amy Clampitt erhielt sie Unterstützung in Form eines Beitrags von Pro Helvetia sowie einer Residenz am Collège International des Traducteurs Littéraires d’Arles. Zurzeit arbeitet sie zusammen mit A’Dora Phillips an der Übersetzung eines weiteren Werks von Marina Zwetajewa («Nine letters with a tenth withheld and an eleventh received»). Texte von Gaëlle Cogan erscheinen regelmässig im französischen Kulturmagazin «Rehauts».
Die Westschweizer Übersetzerin Gaëlle Cogan verbrachte im Herbst 2017 einen Monat am Collège International des Traducteurs Littéraires (CITL). Im Zentrum von Arles im Westflügel des ehemaligen «Hôtel-Dieu», bietet das CITL eine ideale Infrastruktur und Atmosphäre für literarische Übersetzerinnen und Übersetzer aus aller Welt. Wertvoll ist insbesondere auch der Austausch zwischen den verschiedenen Literaturschaffenden vor Ort. Neben Übersetzerinnen und Übersetzern finden sich auch Autoren, Linguistinnen oder Literaturwissenschaftler am CITL ein – Kunstschaffende, die in ihrer täglichen Arbeit oftmals alleine sind. Gaëlle Cogan befasste sich während ihres Aufenthalts mit der Übersetzung des Gedichtbands «A silence opens» der amerikanischen Autorin Amy Clampitt. Im folgenden Bericht schildert Cogan bildhaft ihre Erlebnisse und Eindrücke während dieser Zeit.
Leseprobe: «Zu Arles, wo sich die Rhone weitet»
(…) Beim Öffnen der Eingangstür, hinter der man einen luftigen Salon betritt, gefolgt von den aneinandergereihten Ateliers der einzelnen Übersetzerinnen und Übersetzer, ergreift mich die Vorfreude darauf, was mich hier in den nächsten Wochen erwarten wird: lange nächtliche Spaziergänge mit S., einem brillanten Übersetzer aus dem Chinesischen, der mir von seinen Erlebnissen als jugendlicher Aktivist für Act Up Paris in den 1980er-Jahren erzählt; tiefgründige Frühstücksgespräche mit M., der Werke von Yves Bonnefoy ins Arabische überträgt und am liebsten arbeitet, wenn um ihn herum möglichst viel Trubel herrscht; der Zugang zu jeder Tages- und Nachtzeit zu einer umfangreichen Bibliothek; und ein ungestörtes, intensives Stelldichein mit Amy Clampitt, der amerikanischen Schriftstellerin, mit deren letztem Gedichtband ich mich hier befassen werde.
In «A silence opens» zitiert Clampitt eine Passage aus dem neunten Gesang von Dantes Inferno: «Gleich wie zu Arles, wo sich die Rhone weitet, (…) das ganze Feld von Gräbern bunt durchzogen.» Diese zufällige Verbindung zwischen dem zu übersetzenden Text und meinem Aufenthalt in Arles scheint mir ein gutes Omen zu sein. (…)