lumbung of Publishers an der documenta fifteen

Fragen, die wir einander stellen: Kollektive Zeugenschaft am lumbung of Publishers
Einblicke in den lumbung of Publishers mit Halik Abdul Azeez.
Im Juli dieses Jahres nehme ich als Mitglied des lumbung of Publishers an der documenta fifteen teil. Der lumbung of Publishers ist eine Gruppe von unabhängigen Verlagen und Buchmacherinnen und Buchmachern, die sich im Rahmen der documenta fifteen in Kassel trifft. Wir arbeiten in verschiedenen Disziplinen wie Kunst, Aktivismus, Comicbücher, Belletristik und weiteren Bereichen. «Lumbung» ist ein indonesischer Begriff für einen gemeinschaftlichen Reisspeicher, hier als Metapher für kollektiv gebündelte Ressourcen verwendet, die dann je nach Bedarf an die an der documenta teilnehmenden Kollektive verteilt werden.Während der documenta 15 haben die Mitglieder des lumbungs of Publishers die Möglichkeit, sich während einer Woche vom 6.-10. Juli im Rahmen eines organisierten als auch informellen Programms ihre vielfältigen Tätigkeiten vorzustellen, kennenzulernen und nach künftigen Wegen für eine Zusammenarbeit suchen.
Eine Affinität für hyperlokales und unleserliches Material (sowohl absichtlich wie auch unbeabsichtigt) spielt in dem Kollektiv, zu dem ich in Sri Lanka gehöre, eine wichtige Rolle. The Packet entstand 2019, mit dem Ziel einer spielerischen und gemeinschaftlichen Zusammenarbeit. Unsere Publikationen und digitalen sowie ortsspezifischen Interventionen sind bewusst von Abschweifungen und dem Fluss der Dinge geprägt und wir widerstehen dem Impuls, ständig künstlerische hot takes zu produzieren.

Das kommt nirgends so gut zum Ausdruck wie auf unserem Instagram-Konto, das gleichzeitig von bis zu acht Personen verwaltet wird. Wir greifen bevorzugt auf die Idee des silly archive von Jack Halberstam zurück, als Mittel, um die Welt um uns herum zu verstehen, und wir verknüpfen TikToks und Memes mit Auszügen akademischer Artikel, Popkultur und Twitter-Tiraden.
Wie ähnliche Bewegungen, die verteilt über den globalen Süden auftauchen, haben wir begonnen, Unleserlichkeit/Obskurantismus als Ursache für Empowerment und Widerstand zu betrachten, was Raum für neue Daseinsformen schafft. Auch der lumbung of Publishers versucht, eine Verbindung zwischen diesen verschiedenen Handlungswelten und dem Anderssein zu schaffen. Wir suchen nach Gemeinsamkeiten, die uns einen. Obwohl jeder von uns in sehr spezifischen Kontexten arbeitet und mit den lokalen Gemeinschaften in der lokalen Sprache spricht, hält uns der gemeinsame Glauben an die Stärke der Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung und Teilen als Grundlagen für die Schaffung einer Gegenkraft zusammen.
Eine kollektive Organisation ist bereits in kleineren Strukturen schwierig – wenn sie im grossen Massstab umgesetzt werden soll, wird sie sehr komplex. Der Versuch, unabhängige Ideen an einem der grössten Kunstfestivals des globalen Nordens zu vertreten, birgt auch eine gewisse Ironie. Die Gefahr, dass unser Vorhaben zu einer einmaligen Übung wie so viele zuvor wird, die zu stark von internationalen Finanzierungsnetzwerken und der Dynamik der Kunstwelt gesteuert wird, ist real.
Deshalb sind überschaubare Zielsetzungen ein Schlüsselfaktor. Wenn nicht eine globale Struktur, so können zumindest kleinere Zusammenarbeiten entstehen. Und Wege und Mittel, um sich gegenseitig zu helfen, zum Beispiel in Bereichen wie Verkauf und Logistik, die zum Überleben unabdingbar sind. Dies kann zu Synergien führen, welche die unglaublich komplexe Aufgabe, unabhängige Verlagsaktivitäten zu führen, etwas vereinfachen können.

Daraus kann wiederum gegenseitiges Verständnis entstehen – Wege und Mittel, um sich gegenseitig kennenzulernen und voneinander zu lernen, und zwar wegen und nicht trotz des sich wandelnden Umfelds, in dem wir uns alle befinden. Dieses gegenseitige Wissen birgt Hoffnung für eine kollektive Zukunft in einer Art und Form, die wir heute noch nicht kennen. Diese Art von kollektiver Zeugenschaft ist gemäss Natasha Marin ein revolutionärer Akt, der uns erlaubt «uns als vollständig und gesund zu sehen, in einer Welt, die von unserer Unterwerfung stimuliert ist» – eine Revolution, die möglicherweise bruchstückhaft oder durch eine langsame Flamme, die von jahrelangen Gesprächen am Leben gehalten wird, Form annehmen wird. Stattfinden wird sie so oder so.
Da sich die Gruppe regelmässig im cloud-basierten «digitalen Wohnzimmer» von lumbung of Publisher trifft, sind solche gemeinsame, sinnstiftende Bestrebungen bereits im Gange. In den folgenden «Mikro-Interviews/Gesprächen» – Auszüge aus einer Fragekette, die wir uns gegenseitig fortlaufend stellen – versuchen wir, eine sich noch immer im Aufbau befindende Community zu entwickeln.

Marjin Kiri >fragt> microutopías: Du publizierst in verschiedenen Formaten: Buch, Booklet, Poster usw. Hat jedes Format ein eigenes Programm und einen eigenen Zweck (auch Publikum) oder ergänzen sie sich gegenseitig?
microutopías >> Marjin Kiri: Wir versuchen die folgenden Fragen zu beantworten: Welches ist das beste Format für diese Idee? Kann sie auch anders realisiert werden? Macht das Format Sinn? Um die grösste Wirkung mit dem Minimum von verfügbaren Mitteln zu erreichen, betrachten wir das Format als weitere inhaltliche Ebene. In vielen Fällen ist das Format der Grund und auch die Konsequenz für das, was publiziert wird. Es ist die Huhn-Ei-Frage: Was war zuerst da, das Format oder der Inhalt?
Kuš! >fragt> Kutikuti: Erzähl uns mehr über deinen Vertrieb und über deine Ziele.
Kuti Kuti >> Kuš!: Die Idee hinter der Zeitschrift war von Anfang an, den Menschen eine neue Form von Ästhetik zu bieten und die Leserschaft von zeitgenössischen Comics auszuweiten. Aus der Sicht von Kunstschaffenden ist es wichtig, dass ihre Arbeit physisch publiziert wird und Kuti als anerkannte Zeitschrift kann einen Beitrag für ihre zukünftigen Karrieren leisten.
Tanja // Stripburger >> Halik // The Packet: Welche Rolle spielen Eigenpublikationen / Zines
(sowohl solo als auch in Zusammenarbeit) in deiner kreativen Arbeit?
Halik // The Packet >> Tanja // Stripburger: Ein Zine kann sehr einfach hergestellt und vertrieben werden, ohne dass es dafür eine grössere Verlagsinfrastruktur braucht. Das war befreiend für mich. Als ich dann anfing, bei Buchprojekten mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, war dies eine ideale Art, um gemeinsame Erkenntnisse und Gespräche einzubauen. Mir gefällt, dass es Kunstwerke sind, die unabhängig von Galerieräumen existieren und mitgenommen werden können, und dies zu verhältnismässig geringen Kosten.
Cooperativa Cráter Invertido >> David Kaiza: Was ist Erinnerung?
David Kaiza >> Crater Invertido: Ich glaube (als Autor), dass Erinnerung das Bestreben ist (für mich ist Erinnerung Arbeit), in einem Kontinuum gegen den unablässigen Strom der Zeit zu existieren. In Form von Arbeit ist Erinnerung meiner Meinung nach der Versuch, das soeben Vergangene zu erklären.
HAMBRE >> Jalada Africa: So wie «lumbung» (Reisspeicher) in Indonesisch oder «olla común» (gemeinsamer Topf) in Spanisch, welche kollektive Zusammenarbeit in deinem Umfeld hat dich am meisten inspiriert?
Jalada Africa >> HAMBRE: Es gibt ein faszinierendes junges Kollektiv, das vor einem oder zwei Jahren in Kairo gegründet wurde. Es heisst Esmat Publishing List. Die Mitglieder arbeiten übergreifend in filmischen, künstlerischen und diskursiven Sprachen. Esmat = عصمت ist ein arabischer Begriff, der kein Geschlecht hat. Das Kollektiv beschreibt sich selbst in Kurzform als «eine Sammlung von Publikationen und Charakteren». Sie betrachten Esmat als Raum, um filmisch über das Buchmachen nachzudenken. Wie kann der Glamour des Kinos auf das gedruckte Format übertragen werden – das Spiel von Licht, Musik, Bewegung, die Szenografie, Texturen, Blicke und die verkörperten Gefühle?
The lumbung of Publishers:
- Bananafish Books, China
- consonni, Basque Country
- Cooperativa Cráter Invertido , Zürich
- Hambre, Chile
- Jalada Africa, Kenya
- Kayfa ta , Egypt
- Kutikuti>, Finland
- kuš! , Latvia
- La Impresora, Puerto Rico
- Marjin Kiri , Indonesia
- microutopías, Uruguay
- Nieves, Switzerland
- Relampago, Kenya
- Rotopol Press , Egypt
- Stripburger, Slovenia
- Strapazin , Switzerland
- The Packet, Sri Lanka
- Erick Beltrán , Spain/Mexico</li
David Kaiza , Kenya
N’fana Diakite , Mali
Abdul Halik Azeez ist ein in Colombo, Sri Lanka ansässiger visueller Künstler, unabhängiger Forscher und Autor. Er ist Gründungsmitglied des sri-lankischen Kollektivs The Packet, das wiederum selbst Mitglied von Lumbung of Publishers ist. Mehr über seine Arbeit ist auf seiner Website zu finden: abdulhalikazeez.com
The Publishers Lumbung an der documenta 15 wird von Pro Helvetia unterstützt und hat das Ziel, langfristig den Austausch zwischen unabhängigen Verlagen, Buchproduzenten und Buchproduzentinnen und Künstlerinnen und Künstlern in der Schweiz und weltweit zu stärken.
Titelfoto: © lumbung of Publishers Mindmap @hambrehambrehambre