Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė
Yield, 2021
Aluminium, 51 × 70 × 41 cm
Was für Formen geben Menschen Gegenständen, mit denen sie sich im Alltag umgeben? Funktionalität mag ein westlich-kapitalistisches Kredo des Produktdesigns lauten, vergrössern wir jedoch den zeitlich-geografischen und kulturellen Horizont, zeigt sich diese Maxime bald als überholt. Es kommen etwa Repräsentation, Tradition oder Imitation ins Spiel. Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė beziehen sich in einer Reihe von Arbeiten auf die Welt der Dinge, die sie mit ihrer Kindheit in Polen und Litauen in Verbindung bringen. Ausgangspunkt für Yield ist ein Design für Kosmetikspiegel, das sich in den Ländern des ehemaligen Ostblocks grosser Beliebtheit erfreute. Der Spiegel besitzt die Form einer Blume, stilisierte gelbe Blütenblätter aus Plastik umfassen die runde Spiegelfläche. Diese Vorlage aus industrieller Massenproduktion durchläuft in der Weiterbearbeitung von Gawęda und Kulbokaitė eine Art kritischen Sublimierungsprozess. So spricht der Titel von Ertrag, Profit und Rendite. Er verweist auf die ausbeuterische Logik landwirtschaftlicher Produktion und ebenso auf die seit Anfang 1990er-Jahre wirkende Transformation vom sowjetischen zum kapitalistischen System, das Gawęda und Kulbokaitės Generation wie keine andere prägte. Tatsächlich bleibt in Yield, wofür die Künstlerinnen die Vorlage dreimal vergrössert in Aluminium gossen, wenig von den verstaubten Klischees sowjetischen Wohnens, vielmehr fühlen wir uns an die sterile Produktästhetik der Welt der Technologie erinnert. Die einst mittels kindlich-poppiger Reduktion domestizierte Blumenform präsentiert sich neu in einer Materialität, die wir eher von technischen Geräten kennen. Im Eingangsbereich richtet sie ihren beweglichen Kopf auf die Eintretenden – die Assoziation zu einer Überwachungskamera ist unumgänglich: Wir werden gesehen und sehen unser Spiegelbild. Für Gawęda und Kulbokaitė steht Yield einerseits für die Inanspruchnahme der Natur durch den Menschen und andererseits für Mechanismen des Beobachtens und Kontrollierens.
Dorota Gawęda (*1986) und Eglė Kulbokaitė (*1987) sind ein Künstlerinnenduo, das in Basel lebt und arbeitet. Beide schlossen 2012 ihr Studium am Royal College of Art in London ab. Ihre Arbeit umfasst Performance, Skulptur, Fotografie, Malerei und Video. Sie erhielten 2021 einen Swiss Art Award und sind für den Prix Mobilière 2022 nominiert. Sie sind die Gründerinnen der YOUNG GIRL READING GROUP (2013–2021).
Text: Yasmin Afschar