Die Solothurner Filmtage und die Solothurner Literaturtage haben gemeinsames Programm für Literaturadaptionen lanciert. Pro Helvetia unterstützt die Zusammenarbeit im Rahmen der Literaturförderung und hat mit den beiden Leitungspersonen über das Projekt gesprochen.
Seit 2019 unterstützt Pro Helvetia die Leinwandadaption von literarischen Stoffen aus der Schweiz und unterstützt den Zugang von Schweizer Verlagen zu wichtigen internationalen Adaptionsprogrammen. Die nationale Ebene kam 2023 im Rahmen von Branchenveranstaltungen für die schweizerischen Film- und Literaturszenen an den Solothurner Filmtagen und den Solothurner Literaturtage hinzu. Nun nehmen die Solothurner Filmtagen 2024 mit einer Pitching-Session für Literaturadaptionen erstmals ein Format ins Programm, das sich an internationalen Filmfestivals bereits bewährt hat. Am «SO PRO» stellen sich fünf ausgesuchte Literaturprojekte den Vertreterinnen und Vertretern etablierter Filmproduktionsfirmen aus der Schweiz vor. Beim anschliessenden Speed Dating wird der erste Eindruck vertieft. Ziel ist ein Optionsvertrag für eine Filmadaption.
Die Adaption ist in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil der Filmmärkte der wichtigsten internationalen Filmfestivals geworden: Cannes mit Shoot the Book!,Books at Berlinale oder auch BARM in Venedig. Die Schweiz ist da schon regelmässig mit dabei. Was ist das Besondere am Angebot der Solothurner Filmtage?
Niccolò Castelli. Das Publikum weiss oft nicht, dass einer der wichtigsten Aspekte eines Filmfestivals der «Marktplatz» ist – ein Ort, an dem Filmschaffende ihre Projekte in den verschiedenen Entwicklungsstadien besprechen können. Ein Beispiel ist unser neues Branchenprogramm «SO PRO». Als Schaufenster des Schweizer Films und der Schweizer Literatur spielt Solothurn eine wichtige Rolle für den kulturellen Zusammenhalt des Landes, auch in professioneller Hinsicht: Die beiden Festivals haben sich zu einem unabdingbaren Treffpunkt für die Akteure und Akteurinnen der Film- und Literaturwelt entwickelt. Es besteht also Grund zur Annahme, dass sie produktive Bedingungen für den Austausch zwischen den Schweizer Verleger*innen und Produzent*innen in einer warmen und vertrauten Umgebung schaffen können.
Warum ist es für die Schweizer Filmbranche wichtig, sich der Literaturbranche anzunähern?
Niccolò Castelli. Das Kino lebt von Geschichten. Die Literatur kann dem Kino über den schlichten «Content» hinaus Visionen, Universen und den Bedeutungsreichtum der Erzählungen liefern. In einer globalisierten Welt sollte man die lokale Verankerung des Schreibens und der Stile nicht unterschätzen: Alle Künstlerinnen und Künstler schöpfen ihre Inspiration aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Förderung des Austauschs zwischen Film und Literatur in der Schweiz kann also Geschichten anregen, die in einem für die eigene Bevölkerung erkennbaren Bereich angesiedelt sind und auch im Ausland geschätzt werden. In diesem Dialog können sich die beiden Disziplinen ausserdem in ihrer Publikumsbeziehung gegenseitig stärken.
Wie wichtig ist die neu entstandene Kollaboration mit den Solothurner Filmtagen für euch? Was ermöglicht sie?
Rico Engesser. Es handelt sich um die erste Zusammenarbeit der beiden Solothurner Festivals überhaupt, die eigentlich total auf der Hand liegt: Beide Institutionen haben eine schweizweite Ausrichtung und präsentieren eine «Werkschau» des vergangenen Jahres. Beide versammeln einmal im Jahr die jeweilige Branche in Solothurn. Beide Institutionen sind verwurzelt mit der Region und sind in Solothurn identitätsstiftend.
Aber die Zusammenarbeit ist nicht einfach ein schönes Zeichen für Solothurn, sondern schafft eine Schnittstelle der Schweizer Literatur- und Filmszene, die sich bisher eher «privat» kennen. Die professionelle Vernetzung ermöglicht für Verlage und Autor*innen, dass Schweizer Texte weitere Wege gehen und Filmrechte verkauft werden können; Filmproduzent*innen gelangen so an interessante und vor allem bereits ausgearbeitete Stoffe.
Und persönlich finde ich schön, dass sich die beiden Institutionen und die Menschen, die dahinter stecken, besser kennenlernen und in einen Austausch treten. Das ist einen Bereicherung, die auch über das konkrete Projekt hinausgeht.
Warum steckt die Adaption von literarischen Stoffen in der Schweiz im Vergleich mit dem Ausland noch in den Kinderschuhen?
Niccolò Castelli. Der sprachliche Reichtum der Schweiz schafft aber auch Barrieren: Ein in Schweizerdeutsch oder Deutsch veröffentlichtes Werk gewinnt nicht sofort die Aufmerksamkeit von Produzent/innen aus der Westschweiz. Um literarische Adaptionen zu fördern, müssen zuerst Brücken zwischen den Sprachregionen gebaut und Momente des Austauschs geschaffen werden, in denen sich kulturelle Akteure und Akteurinnen, die sich noch nie zuvor getroffen haben, über ihre Visionen und Projekte austauschen können. Genau das ist eine der Funktionen der Pitch-Session, die von den beiden Festivals konzipiert wurde. Neben den angebotenen Networking-Möglichkeiten beinhaltet sie auch die konkrete Förderung von Literaturverfilmungsprojekten im Rahmen eines Stipendiums.
Wie haben die Schweizer Verlage auf die neue Initiative reagiert?
Rico Engesser. Wir haben ausschliesslich positive Rückmeldungen erhalten. Für Verlage kann der Verkauf von Filmrechten sehr lukrativ sein und besonders in der Schweiz besteht hier Nachholbedarf. Gerade mittelgrosse und kleinere Verlage haben häufig noch wenig Berührungspunkte mit der Filmbrache. Filmrechte und Pitches sind Neuland, dessen waren wir uns von Anfang an bewusst. So haben wir an den Literaturtagen 2023 auch erstmal bei den Basics angefangen: Wie wird ein literarischer Text zum Film? Welche Produktionsstrukturen gibt es? Was kostet das?
Welches Potenzial für Adaptionen siehst Du in der Schweizer Literaturproduktion?
Rico Engesser. Die Erfolge von «Der Goalie bin ig» (2014) von Pedro Lenz, «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» (2018) von Thomas Meyer oder «Coeur Animal», basierend auf Noëlle Revazs Roman «Rapport des bêtes», der 2010 den Schweizer Filmpreis gewann, geben eine Idee, welches Potenzial Schweizer Literaturadaptionen haben können. Dazu kommt, dass eine Literaturadaption rund 50% schneller produzierbar ist als ein neu entwickeltes Projekt, was für eine Produktionslandschaft wie die Schweiz sicherlich interessant ist. Insbesondere jetzt, nach dem Ja zum Filmgesetz 2022 und dank zusätzlichen finanziellen Mitteln kann das auch bedeuten, dass mehr Filmstoffe und Inhalte gefragt sind. Dass da ein grosses Potential für Adaptionen liegt, steht für mich ausser Frage. Die Frage hingegen, die sich stellt ist, wie Filmproduzent*innen an diese literarischen Stoffe gelangen.
Welchen Platz hatte die literarische Adaption bisher im Programm der Solothurner Filmtage?
Niccolò Castelli. Literaturverfilmungen stehen beim Festival hier und da auf dem Programm. In diesem Jahr sind dies «L’amour du monde», der erste Spielfilm von Jenna Hasse nach dem gleichnamigen Roman von Ramuz, sowie «Jakobs Ross» von Katalin Gödrös, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Silvia Tschui. Darüber hinaus sollte betont werden, dass die Geschichte des Schweizer Films eng mit dem Austausch zwischen dem Literatur- und Filmmilieu verbunden ist: Autoren und Autorinnen wie Dürrenmatt, Hesse oder Patricia Highsmith haben das Kino durch ihr Werk und ihr Leben nachhaltig beeinflusst. Diese Wechselwirkungen wurden bislang nur sporadisch untersucht. Es ist zu hoffen, dass das von den beiden Festivals ins Leben gerufene Projekt eine tiefgründige Analyse dieses Austauschs ermöglichen wird. In jedem Fall bin ich mir sicher, dass der Dialog zwischen diesen beiden Disziplinen positive Überraschungen für uns in petto hat.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Stoffe für diese erste Pitching Session ausgewählt?
Rico Engesser. Zugelassen waren fiktionale Texte in einer der vier offiziellen Landessprachen, die von Schweizer oder in der Schweiz lebenden Autor*innen stammen. Von Kinderbuch bis Krimi. Wichtig war uns, dass es sich für die Pitching-Session um aktuelle Neuerscheinungen handelt, weil wir uns dadurch auch eine höhere Attraktivität für Filmproduzent*innen erhofften. Es konnten also nur Texte eingegeben werden, die frühestens im Herbstprogramm 2023 publiziert wurden. Die eingesendeten Projekte wurden anschliessend von einer dreiköpfigen interdisziplinären Auswahlkommission beurteilt: eine Literaturwissenschaftlerin, ein Regisseur und ein Produzent. Dabei wurden neben Relevanz und Potenzial für eine Verfilmung vor allem die Qualität und Originalität der Geschichten und Figuren sowie die Realisierbarkeit für die Schweizer Filmindustrie eine Rolle.
Was erwartet ihr von der ersten Ausgabe?
Niccolò Castelli. Wir erhoffen uns natürlich, dass nach dieser ersten Ausgabe einige Adaptationsprojekte konkret Gestalt annehmen werden. Dafür braucht es jedoch Geduld. Die ersten Früchte dieses Austauschs werden in einigen Jahren sichtbar werden: Um einen Film zu schreiben und zu drehen, reichen ein paar Monate nicht aus. Nichtsdestotrotz ist der Austausch, der an den Solothurner Filmtagen stattfindet, eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung solcher Projekte.