Im Übersetzerhaus Looren stärkt ein Programm die Beziehungen zwischen den beiden Regionen, fördert den Austausch zu Übersetzungspraktiken und schafft unerwartete Verbindungen zwischen Sprachen wie Rätoromanisch und Guaraní.
Das östlich von Zürich gelegene Übersetzerhaus Looren widmet sich der Arbeit von literarischen Übersetzerinnen und Übersetzern. Vor einem Jahrzehnt wurde hier Looren América Latina ins Leben gerufen, um einen Beitrag zur Professionalisierung und Vernetzung der beiden Regionen zu leisten. Durch Residenzen, Workshops, Foren und Austauschaktivitäten vertieft das Programm seither die Verbindungen zwischen Übersetzerinnen und Übersetzern aus beiden Kontexten und erweitert dabei die Möglichkeiten innerhalb einer oft als einsam wahrgenommenen Tätigkeit. Darüber hinaus bietet es einen fachlichen Raum, um Parallelen zwischen unterschiedlichen Kulturen zu erforschen, Minderheitensprachen sowie minorisierte Sprachen zu fördern und die Schweizer Literatur in einem anderen Teil der Welt zu verbreiten.
Eine dieser Aktivitäten ist die von Pro Helvetia unterstützte kollektive Residenz «Was übersetzen wir?» für lateinamerikanische Übersetzerinnen und Übersetzer, die jeden Februar im Übersetzerhaus Looren stattfindet. Dann trifft sich dort eine Gruppe lateinamerikanischer Übersetzerinnen und Übersetzer, die im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt wurden, um an ihren Übersetzungsprojekten zu arbeiten, Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu Schweizer Fachleuten sowie Institutionen im Kultur- und Kreativbereich zu knüpfen. Das Programm bezieht Teilnehmende mit unterschiedlichem Hintergrund ein, fördert Synergien über die vier Sprachregionen der Schweiz hinweg und stösst gleichzeitig eine Debatte rund um die Praxis an.

Inkubations-Hub
Die einmonatige Residenz dient als Inkubations-Hub, aus dem neue Projekte und Verbindungen entstehen können. «Looren América Latina» hat sich organisch zu einer Plattform entwickelt, die wir ‹expanded translation› nennen: ein physischer Raum (in Looren), aber auch ein virtueller Raum für Weiterbildung in den Bereichen literarische Übersetzung, fachlicher Dialog, gemeinsame Kreation und kooperatives Lernen», erklärt die Argentinierin Carla Imbrogno, Koordinatorin und Gründerin des Programms, zusammen mit Gabriela Stöckli, Direktorin des Übersetzerhauses Looren.
Ein Beispiel dafür ist die Erfahrung des Argentiniers Ariel Dilon, der nach seiner Residenz im Jahr 2019 eine starke Verbindung zur Schweizer Szene aufbaute. Während dieses Aufenthaltes, in dem er an Texten von Henri Roorda arbeitete, besuchte er die Dichterin und Übersetzerin Marina Skalova in Genf. Diese Begegnung führte zur Veröffentlichung ihres Buches «L’exploration du flux» in Argentinien, das von Dilon mit der Unterstützung von Pro Helvetia ins Spanische übersetzt wurde. Aus diesem ersten Kontakt entstanden zudem neue Projekte wie die Veröffentlichung einer zweisprachigen Ausgabe von Cléa Chopards «Ancolie commune» und eine weitere Übersetzung von Skalovas Werk («Atemnot/Souffle Court»), an der er derzeit gemeinsam mit Martina Fernández Polcuch (Residenz-Teilnehmerin im Jahr 2025) arbeitet.
«Das Wissen, das ich mir – während und dank der Residenz – über die Werke von Schweizer Autorinnen und Autoren angeeignet habe, hatte zwar keine konkreten Projekte zur Folge, ist aber noch immer Teil meines ständigen Dossiers an «Übersetzungswünschen». Ich glaube, dass die Residenz für mich eine Art kultureller Urknall war, der eine gestaltgewordene, erfahrbare Verbindung schuf. Sie hatte einen rhizomatischen Ausdehnungseffekt und erhöhte die persönlichen, emotionalen, kulturellen, sprachlichen und literarischen Verbindungen mit dem Land und seinen verschiedenen Sprachen in Schriftform», sagt Dilon, der im November für literarische Veranstaltungen und ein weiteres Projekt ins Übersetzerhaus Looren in die Schweiz zurückkehrt.

Neben ihm hätten auch andere Literaturschaffende langfristige Verbindungen aufgebaut, betont Carla Imbrogno. Einige Beispiele: Die in Bern lebende Venezolanerin Isabel Teresa García übersetzte und veröffentlichte eine Gedichtsammlung der italienisch-schweizerischen Schriftstellerin Donata Berra. Die Ecuadorianerin Yana Lema ging ins Übersetzerhaus Looren, um «Der kleine Prinz» zu übersetzen, nahm dann am rätoromanischen Workshop Traversadas litteraras teil und übersetzte in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen die Dichterin Gianna Olinda Cadonau ins Kichwa. Die Schweizer Dichterin und Übersetzerin Prisca Agustoni ist eine Schlüsselfigur in der Zusammenarbeit mit Brasilien, und Vitor Alevato do Amaral öffnete die Türen für den Austausch mit der Universidade Federal Fluminense in Rio de Janeiro.
Das lateinamerikanische Programm «ist zu einer internationalen Gemeinschaft geworden, die von ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern getragen wird», sagt Imbrogno. «Ziel ist es, die Inkubation von Projekten zu erleichtern, die die Vielfalt der Ideen und aktuelle Dynamiken in der Literarischen Übersetzung im Allgemeinen, aber auch in den Bereichen Minderheitensprachen und minorisierte Sprachen, sprachliche Hybridisierung sowie transdisziplinäre und kooperative Praktiken widerspiegeln.»
Gemeinsamkeiten
Um die Recherche und den Austausch zu diesem Thema auszubauen, begann Looren bereits vor einigen Jahren mit der Arbeit an «Fervur Rumantscha». Es ist Teil eines Online-Projekts das im Rahmen von To-gather unterstützt wurde, einer von Pro Helvetia während der Pandemie initiierten Ausschreibung. Das Projekt untersuchte die Möglichkeiten eines gegenseitigen Verständnisses zwischen dem Rätoromanischen und anderen romanischen oder lateinischen Sprachen und umfasste Aktivitäten wie ein Einführungsseminar und einen Übersetzungsworkshop.
Während dieses Workshops haben portugiesische und spanische Übersetzerinnen und Übersetzer Gedichte aus dem Rätoromanischen übersetzt. Da dies ihr erster Kontakt mit der Sprache war, setzten sie auf indirekte Übersetzungen, Wörterbücher, einen ständigen Dialog mit den Autorinnen und Autoren sowie auf die gemeinsame Anstrengung der Gruppe. – Das Resultat wurde online veröffentlicht. Es war, wie Ariel Dilon berichtete, «als wäre es Übersetzung in ihrem reinsten Zustand, jenes Wunder, bei dem man Wort für Wort vorankommt und bei dem etwas zum Vorschein kommt, wie in einer Dunkelkammer.»
Die rätoromanischsprachige Dichterin und Übersetzerin Jessica Zuan war in verschiedenen Phasen von «Fervur Rumantscha» involviert. «Es war das erste Mal, dass ich an einem solchen Projekt teilgenommen habe, und ich habe viel gelernt», erzählt sie. «Wenn man in einer Sprache schreibt und arbeitet, deren Literatur verhältnismässig wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller umfasst, gerät man leicht in Bereiche, die nicht immer die eigenen sind. Aber ich glaube, dass es gerade die Vielfalt der Stimmen ist, die die Literatur stark macht.»
Für Zuan war die Erfahrung, die auch zu ihrer Einladung zum International Poetry Festival im argentinischen Rosario führte, ein «frischer Wind» für die rätoromanische Sprache. Das Projekt ermöglichte auch neue Chancen für Minderheitensprachen auf dem amerikanischen Kontinent, wie Guaraní, Kichwa und Tzotzil, die im Rahmen der Residenz «Was übersetzen wir?» repräsentiert wurden.
Dies trifft auch auf die Paraguayerin Emilia Espínola Duarte zu, die letzten Februar ins Übersetzerhaus Looren kam und gemeinsame Gesprächsgrundlagen zum Thema Repräsentation fand. «Der Austausch mit Schriftstellerinnen und Übersetzern von Minderheitensprachen und minorisierten Sprachen hat mir gezeigt, dass die Probleme, mit denen wir in Paraguay konfrontiert sind, keine Einzelfälle sind, sondern Teil einer globalen Debatte über Sprachenvielfalt», sagt Espíndola, die zudem Aktivistin ist und an zwei Übersetzungen ins Guaraní gearbeitet hat: «Quarto de Despejo» von der Brasilianerin Carolina Maria de Jesus und «Heidi» von der Schweizerin Johanna Spyri.
«Ich begegnete dem Rätoromanischen, einer Minderheitensprache, die zwar nur von wenigen gesprochen wird, aber Unterstützung erfährt, medial präsent ist und symbolisch repräsentiert wird. Das brachte mich dazu, über die Gegensätze zu Guaraní nachzudenken: In Paraguay ist das eine Amtssprache, aber es herrschen immer noch Spannungen zwischen gesetzlicher Anerkennung und tatsächlicher Verwendung. Meine Residenz hat etwas bestätigt, was ich immer betont habe: Guaraní zu sprechen ist kein Hindernis, sondern ein politischer Akt, ein Akt der Würde und der Erinnerung.»
Ausgehend von all diesen Begegnungen und Ergebnissen hebt Carla Imbrogno die Auswirkungen solcher Projekte hervor: «Die Vorteile erreichen auch Menschen ausserhalb des Programms – wie Fluchtlinien: Sie vernetzen sich über diese Community und laden sich dann gegenseitig zu Konferenzen und Festivals ein, übersetzen sich gegenseitig, empfehlen sich gegenseitig weiter und arbeiten zusammen. Menschen und übersetzte Bücher vollziehen eine Reise und verändern sich, und manchmal verlieren wir sogar ihre Spur … Das ist etwas Wunderbares in einer so vernetzten Welt. Die literarische Übersetzung ist historisch betrachtet und per Definition ein zwischenmenschlicher Akt, und dieses Programm hat das Ziel, diese Eigenschaft zu würdigen.»
Unterstützung in den Bereichen Literatur und Übersetzung
Informieren Sie sich hier über unsere Aktivitäten und Fördermassnahmen für Literatur und Übersetzung.
Sichtbarkeit für Übersetzungen
Mit der internationalen Kampagne «Name the translator» stärkt das Übersetzerhaus Looren im Jahr 2025 sein sprachaktivistisches Engagement und feiert gleichzeitig sein 20-jähriges Bestehen. Auf diese Weise sollen professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer mehr Sichtbarkeit erhalten und die Praxisdiskussion vertieft werden – vor allem jetzt, wo der Einsatz von KI die Debatte dominiert. Der Schweizer Autorenverband Autorinnen und Autoren der Schweiz A*dS führt derweil in Zusammenarbeit mit Pro Helvetia die Kampagne «Keine Schweiz ohne Übersetzung» fort.




