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La Fundaziun

«Auch in der Krise sind wir da»

Zur Lage des Kultursektors und unserer Verantwortung

Aufgrund der weltweiten Auswirkungen des Corona Virus ist das Kulturleben, wie die gesamte Gesellschaft, erschüttert und stillgelegt. Pro Helvetia arbeitet seit dieser Woche im Homeoffice, weltweit werden Veranstaltungen und Projekte annulliert und verschoben. Die Kulturschaffenden und –institutionen sind die Leidtragenden dieser Situation, in der Schweiz und weltweit.

Der Kultursektor ist ein eindrücklich gewachsener, global vernetzter Markt, er ist aber auch ein sehr verletzliches Zusammenspiel von ungezählten Akteuren, die in hoher Abhängigkeit stehen von externen Faktoren. Es ist ein System, in dem sehr viele Menschen mit hohem Einsatz und wenig Absicherung, aus innerem Antrieb und ohne wirtschaftliches Sicherheitsnetz tätig sind. Ein System, von dem wir als Gesellschaft gerne die schönen Seiten feiern. Das Virtuose, das Subversive, das Extravagante und das Wohltuende.

Aber die Covid19-Krise zeigt die Zerbrechlichkeit der Kulturbranche in aller Deutlichkeit, sie lässt schmerzhaft hinter die Kulissen des Prekariats blicken, das in Tat und Wahrheit keine Folge der Corona-Krise ist, sondern von dieser nur zugespitzt wird. Unsere Kulturpolitik und -förderung ist nun doppelt gefordert: einerseits Lösungen und Mittel zu finden, um die unmittelbare und existenzielle Not zu lindern, der viele Menschen unverschuldet ausgesetzt sind, andererseits darüber nachzudenken, was wir aus dieser Krise für uns und für das System lernen und an Konsequenzen ziehen.

Die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft und die Öffentlichkeit sind auf jeder Ebene in Mitleidenschaft gezogen, es geht mehr denn je um einen solidarischen und integrierenden Gesamtblick. In diesem Sinne möchten wir nicht den Eindruck vermitteln, dass die Anliegen und Sorgen des Kultursektors über anderen berechtigten und für unsere Gesellschaft grundlegenden Anliegen stehen.

Als Kulturstiftung ist es jedoch unsere Aufgabe, uns zum Verhältnis von Gesellschaft, Politik und Kultur zu äussern. Denn die Kultur ist ein wesentliches Element unserer Gesellschaft und – wie sich jetzt deutlich zeigt – auch unserer Wirtschaft, sie ist eine der Grundlagen unserer Demokratie. Deshalb braucht sie jede erdenkliche öffentliche Stimme und Unterstützung. Umso wichtiger sind mir in meiner Funktion als Direktor von Pro Helvetia, die seit Wochen intensiv und aus nächster Nähe mit den Folgen von Covid-19 auf die Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen konfrontiert wird, einige Worte an die Kulturszene und an die Öffentlichkeit:

Am 12. März 2020 haben das Bundesamt für Kultur (BAK) und die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ausgewählte Kulturverbände zu einer Anhörung empfangen. Der Bundesrat beschloss am 13. März 2020 zahlreiche Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus. Diese Massnahmen gelten für alle Branchen und damit auch für den Kultursektor. Am 20. März hat der Bundesrat nun ein vom Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia mitentwickeltes Paket an Massnahmen verabschiedet, das Mittel zur Milderung von Härtefällen im Kulturbereich bewilligt, womit sowohl dringliche Nothilfen wie auch spätere Ausfallsentschädigungen geleistet werden können. Umgesetzt werden diese von den Kantonen und Suisseculture sociale. Wir sind erleichert über diesen ersten Schritt.

Über die konkrete Ausgestaltung der spezifischen Massnahmen für den Kulturbereich informierte der Bund in einer Medienmitteilung. Ab sofort werden wir zudem auf unserer Website prohelvetia.ch einen Infopoint einrichten, auf den wir laufend neue Informationen aufschalten und sammeln.

Wir können nicht abschätzen, wie groß die finanziellen Einschnitte und die persönlichen wie strukturellen Folgen für die Kulturszene sein werden. Niemand weiß heute, wann die Kulturszene wieder zum regulären Veranstaltungs- und Spielbetrieb zurückkehren kann. Es geht nicht nur um die fehlenden Einnahmen aus dem Kartenverkauf. Es entstehen unter Umständen Schadenersatzpflichten bei Absagen. Die Cafés und Shops in den Institutionen sind betroffen, die gesamte freie Szene, Musiker, die auf Auftritte angewiesen sind, Schauspielerinnen und Tänzer, die alle von ihrer Abendgage leben. Viele Vermittlerinnen in den Museen sind Freischaffende, die jetzt ihr Einkommen verloren haben. Wir erhalten täglich Mails und Anrufe von Kulturschaffenden, die nicht wissen, wie sie im nächsten Monat ihre Miete zahlen sollen, wie sie die Kinderbetreuung organisieren sollen, welche Rechte und Ansprüche sie haben. Niemand weiß, wie Kinos, Clubs und Konzertveranstalter, Buchhandlungen und Verlage ihre weggebrochenen Einnahmen auffangen sollen. Letztlich wird sich erweisen müssen, ob die jetzt sichtbar gewordenen wirtschaftliche Ungleichheit des Kulturmarktes behoben werden kann, indem die Kultur als vollwertiger Teil der Gesamtwirtschaft anerkannt wird.

Niemand weiss auch, welche Auswirkungen die Krise langfristig auf den Kulturssektor weltweit haben wird, ob die Versammlungskultur neu erfunden, mit neuen Vermittlungsformen erweitert wird oder – bedingt durch die drastischen Einschränkungen demokratischer Grundrechte während der Pandemie – im Gegenteil sogar neu gedacht werden muss. Auf privater und auch öffentlicher Ebene wird sich in der Schweiz wie auch in allen anderen betroffenen Ländern zeigen, welche kulturellen Werte wir als Gesellschaft(en) zu leben bereit sind, inwiefern sich ethische Ideale mit rechtlichen und finanziellen Ansprüchen verbinden oder versöhnen lassen.

Dereinst, wenn die Krise überstanden ist und die Welt wieder in den sogenannten Normalmodus wechselt, werden diese Krise und ihre Auswirkungen selbst Thema der Kulturschaffenden sein, werden Texte, Filme, Theaterstücke und Songs darüber entstehen. Dann schliesst sich eine Art Kreislauf, der eine eigene Logik in sich trägt. Werte werden debattiert und verhandelt werden müssen, Ideen von Zusammenleben und Wirtschaften, Fragen von von Bildung und Demokratie, von Nationalität und Internationalität. Die Künste werden ihren Beitrag dazu leisten.

Bis dahin gilt ein einfaches Prinzip:

Zum Überleben der Krise braucht es Unterstützung jener, die jetzt Not leiden. Das Wort Förderung hat für uns als Schweizer Kulturstiftung seit einigen Wochen einen neuen Beiklang erhalten. Wir hören hin, wir sehen hin und wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Kurz: Wir sind da.

Wir wünschen Ihnen allen, hier wie dort, Gesundheit, viel Kraft und den notwendigen Optimismus für die kommenden Wochen. Wir werden die Krise in einer gemeinsamen Anstrengung überwinden.

Philippe Bischof, Direktor Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia